#046 - Mitgliedschaften im Profifußball: Einflussstrukturen, Versammlungsformate und Fanbeteiligung
Die Rahmenbedingungen der Mitgliedschaft im Profifußball haben sich in den vergangenen Jahren weiterentwickelt. Neue kommunikative Möglichkeiten, gesellschaftliche Erwartungen an Transparenz sowie stärker organisierte Fanszenen haben dazu geführt, dass Mitglieder heute an anderen Stellen und in anderer Form Einfluss auf Vereinsstrukturen und Entscheidungsprozesse nehmen können als noch vor einigen Jahren. Während früher vor allem gewählte Funktionäre und das hauptamtliche Management die Richtung eines Vereins bestimmten, werden inzwischen auch verstärkt aktive Fans in Gremien gewählt und übernehmen dort formelle Verantwortung.
Parallel rückt ein weiteres Thema zunehmend in den Mittelpunkt: Wie soll die deutlich gewachsene Anzahl an Mitgliedern künftig an zentralen Entscheidungen teilnehmen? Die Debatte über Präsenz-, Hybrid- oder Digitalformate zeigt, dass sich nicht nur die Mitgliedschaft selbst, sondern auch ihre Formen der Mitwirkung verändern. Vereine stehen damit vor der Herausforderung, Repräsentation, Beteiligung und Legitimation zeitgemäß auszubalancieren.
Neue Rollen: Aktive Fans und ehemalige Ultras sind in Gremien vertreten
In mehreren Profiklubs wurden in den vergangenen Jahren Vertreter aus der aktiven Fanszene in zentrale Gremien gewählt. Besonders sichtbar wurde dies durch die Wahl des – inzwischen verstorbenen – Kay Bernstein zum Präsidenten von Hertha BSC, ein Novum im deutschen Profifußball. Auch Dynamo Dresden, Hansa Rostock und der HSV zeigen u.a. eine ähnliche Entwicklung mit einem Vertreter der aktiven Fanszene im Aufsichtsrat oder Präsidium. Die stärkere organisatorische Verankerung aktiver Fans ist damit längst kein Einzelfall mehr, sondern Teil einer breiteren Entwicklung innerhalb der Vereinslandschaft.
Diese Entwicklungen verdeutlichen, dass gut organisierte Fanstrukturen heute stärker in formale Entscheidungsprozesse hineinwirken. Für Vereine bedeutet das, bei der Besetzung ihrer Gremien nicht nur einzelne Gruppen in den Blick zu nehmen, sondern die Interessen aller relevanten Stakeholder einzubeziehen – von Mitgliedern und Fans über ehrenamtliche Strukturen bis hin zu operativ Verantwortlichen. Das heißt nicht, dass jede Gruppe in den Gremien direkt vertreten sein muss. Entscheidend ist vielmehr, dass die Zusammensetzung der Gremien die vielfältigen Perspektiven im Verein kennt, angemessen berücksichtigt und zugleich handlungsfähig bleibt.
Auch in unseren Mitgliedschaftsprojekten zeigt sich, dass wachsende Mitgliederzahlen Governance-Fragen beeinflussen. Vereine fragen sich zunehmend, wie sich neue Mitglieder langfristig auf Gremienwahlen, Entscheidungsprozesse und Machtverteilung auswirken können. Mitgliederentwicklung und Governance sind heute enger miteinander verwoben als je zuvor.
Mitgliederversammlungen als Machtfaktor im Profifußball – Präsenz, hybrid oder digital?
Die Form der Mitgliederversammlung beeinflusst zunehmend, wer tatsächlich Einfluss ausübt. Trotz hoher Mitgliederzahlen nehmen vielerorts nur wenige Prozent an Versammlungen teil.
Beispiel Hertha BSC:
Von über 60.000 Mitgliedern nahmen rund 1500 teil (2,5 %). Ein großer Teil davon kam aus der aktiven Fanszene, die im Vorfeld intensiv gegen Hybridformate argumentiert hatte. Der Antrag auf eine
Satzungsänderung scheiterte deutlich – Hertha bleibt bei Präsenzversammlungen.
Beispiel 1. FC Köln
Der Mitgliederbeirat hat sich erst jüngst sehr deutlich gegen hybride Veranstaltungen ausgesprochen.
Das Beispiel Hertha zeigt, wie Präsenzformate mobilisierbare Gruppen begünstigen. Mitglieder, die aus terminlichen, gesundheitlichen oder räumlichen Gründen nicht teilnehmen können, bleiben ausgeschlossen. Damit stellt sich die Frage, wie demokratisch ein Format ist, das weite Teile der Mitgliedschaft faktisch nicht erreicht.
Andere Vereine wählen unterschiedliche Wege:
Die erstmals hybride Versammlung beim BVB wurde von 1951 Mitgliedern vor Ort besucht und mehr als doppelt soviele, nämlich 4128 nahmen online teil. In der Summe dennoch ein verschwindend geringer Anteil bei rund 238.000 Mitgliedern. Hybride Modelle eröffnen zumindest die Möglichkeit, breitere Mitgliederschichten einzubinden – auch wenn die tatsächliche Teilnahme zunächst weiterhin gering bleibt.
Für die Vereine hat die Frage des Versammlungsformats weitreichende Konsequenzen. Die Legitimation des 50+1-Prinzips basiert nach unserer Auffassung auch darauf, dass die zentralen Organe des e.V. – insbesondere die Mitgliederversammlung – Entscheidungen treffen, die auf einer möglichst breiten Mitgliedereinbindung beruhen. Besteht die tatsächliche Beteiligung jedoch nur aus wenigen Prozent der Mitgliedschaft, entsteht ein Spannungsfeld zwischen den formal vorgesehenen demokratischen Strukturen und ihrer praktischen Umsetzung. Da der e. V., auch bei ausgegliederten Kapitalgesellschaften, über seine Organe die maßgeblichen Weisungs- und Kontrollrechte gegenüber der Profiabteilung ausübt, gewinnt die Frage nach Repräsentativität und Beteiligung zusätzliche Bedeutung.
Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum Teile der aktiven Fanszene hybride Formate kritisch sehen. Präsenz bietet ihnen ein Umfeld, in dem Mobilisierung ein zentraler Einflussfaktor ist. Hybride oder digitale Versammlungen könnten diese Vorteile relativieren und die Mehrheitsverhältnisse stärker an der gesamten Mitgliedschaft ausrichten.
Für Vereine bedeutet dies, dass Veränderungen am Versammlungsformat nicht nur organisatorische, sondern auch kulturelle und bindungsrelevante Auswirkungen haben können.
Wenn gut organisierte Gruppen den Eindruck gewinnen, an Einfluss zu verlieren, kann dies ihre Motivation oder Bereitschaft zur aktiven Mitwirkung beeinflussen – ein Aspekt, den Clubs im Rahmen ihrer Mitgliederstrategie mitbedenken müssen. Die aktuellen Entwicklungen legen daher nahe, dass die Diskussion über die zukünftige Ausgestaltung von Mitgliederversammlungen weiter an Bedeutung gewinnen wird.
Wandel im Dialog: Einbindung von Mitgliedern und Fans als strategisches Instrument
Unabhängig von Versammlungsformaten verändert sich auch die Kommunikation zwischen Vereinen, Mitgliedern und Fans. Transparenz, frühzeitige Einbindung und nachvollziehbare Entscheidungswege sind heute zentrale Erwartungen. Digitale Kanäle verstärken diesen Anspruch zusätzlich: Diskussionen sind schneller, öffentlicher und wirken unmittelbarer in Vereine hinein. Mitglieder wollen zunehmend Mitgestaltung – nicht nur Information.
Best Practice SC Freiburg:
Der Club führte 2024/25 einen mehrstufigen Dialogprozess durch, begleitet von externen Expert*innen. Beteiligt waren u. a.:
Die Gruppen arbeiteten an einem gemeinsamen Lösungsbild für zukünftige Strukturen des Präsidentenamts. Ergebnis war der Vorschlag eines neuen Gremiums – des Vereinsrats, der künftig zentrale Aufgaben in Mitgliederkommunikation, Dialogformaten, Werte- und Traditionsarbeit übernehmen soll.
Eine Umfrage mit rund 8.000 Rückmeldungen bestätigte die Ergebnisse des Dialogprozesses. Der breit angelegte Ansatz wurde von den Beteiligten überwiegend positiv bewertet und verdeutlicht, wie strukturierte Beteiligungsformate Stabilität, Legitimation und Identifikation fördern können. Die Mitgliederversammlung hat den erarbeiteten Vorschlag dann auch mit 87% formell verabschiedet.
Fazit
Die vergangenen Jahre zeigen deutlich, wie stark sich Mitgliedschaft, Mitbestimmung und Kommunikationskultur im Profifußball verändern. Neue Rollenbilder in Gremien, die Diskussion um geeignete Versammlungsformate und der Wunsch nach stärkerer Beteiligung stellen Vereine vor die Aufgabe, ihre Strukturen weiterzuentwickeln, ohne gewachsene Stabilität zu gefährden. Wer diese Entwicklungen frühzeitig aufgreift und professionell gestaltet, schafft nicht nur transparentere Entscheidungen, sondern stärkt auch die Legitimation des Vereins in einer zunehmend heterogenen Mitgliedschaft.
Gleichzeitig wird klar, dass Fragen der Mitgliederentwicklung, Governance und Beteiligung eng miteinander verknüpft sind. Viele Vereine beschäftigen sich daher zunehmend damit, wie sie diese Themen strategisch zusammenführen können – von klaren Rollenbildern über geeignete Versammlungsformate bis hin zu zeitgemäßen Ansätzen der Mitgliederkommunikation. In diesem Kontext können externe Perspektiven und methodische Unterstützung hilfreich sein, um Prozesse strukturiert aufzusetzen, unterschiedliche Stakeholder einzubinden und tragfähige Lösungen zu entwickeln, die zur jeweiligen Vereinskultur passen.
HORSTMANN Strategie & Management Consulting begleitet Clubs bei der Entwicklung und Optimierung ihrer Mitgliederstrategie. Mit langjähriger Erfahrung und tiefem Branchenverständnis unterstützen wir Sie dabei, das volle Potenzial Ihrer Mitgliedschaften zu entfalten. Kontaktieren Sie uns gerne – gemeinsam entwickeln wir individuelle und zukunftsfähige Lösungen für Ihren Verein.
Aufgrund der besseren Lesbarkeit wird im Text das generische Maskulinum verwendet. Gemeint sind jedoch immer alle Geschlechter.
Quellen: Hybrid oder Präsenz? Der Kulturkampf in den Klubs - kicker; Vereinshompage Borussia Dortmund
26.11.2025
